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| Subject: Rechtsextremismus in Europa Fri Mar 05, 2010 12:09 am | |
| Was sind die Ursache des Aufschwungs des Rechtsextremismus in Europa? Ist das Problem nur auf Länder wie Belgien, die Niederlande und Österreich beschränkt oder ist est ein globales Problem? foto DS FAZ Geert Wilders' Sieg Ein Rechtsruck geht durch Europa
Von Dirk Schümer
„Geert ist groß”: Sympathisanten des Rechtsaußen Wilders demonstrieren in Amsterdam für ihr Idol
04. März 2010
Die Politik in Europa wird auf absehbare Zeit von den Rechtspopulisten dominiert. Die Vorhersage mag bedrohlich klingen. Allein, man muss kein Prophet sein, um aus den niederländischen Kommunalwahlen ein gewaltiges Potential antimuslimischer, antieuropäischer, antiarrivierter Politik auch andernorts abzuleiten. Geert Wilders, der in seinen zwei ausgewählten Zentren Almere und Den Haag auf Anhieb zu den Volksparteien aufschloss, hat als Anführer eine straff kontrollierte Partei modelliert, die sich nicht im Querulantentum verzettelt. Herkömmliche Hürden für politische Newcomer - mühsam zu besetzende Ortsvereine, putschende Vorstände, Glaubenskriege unter Wirrköpfen -, wie sie wesensverwandte Gruppierungen um Haider, Le Pen oder die Erben Pim Fortuyns stets zurückgeworfen haben, schließt Wilders mit strenger Selektion der Mitglieder, hierarchischer Organisation, medialer Inszenierung vorerst aus. Seine durch Todesdrohungen erzwungene Abschottung, die ihn in Zeiten des Straßenwahlkampfs noch lahmgelegt hätte, trägt nur zu seiner erfolgreichen Mythisierung bei.
Wenn darum im Juni nach der Parlamentswahl ein knappes Drittel der Wähler im Einwanderungsland Niederlande gegen Zuwanderung und Islamisierung stimmen werden, schöpft dies nur das Potential aus, das der tragisch ermordete Fortuyn vor Jahren bereits zu mobilisieren verstand. Und dass ausgerechnet die Holländer, die an der Öffnung der europäischen Märkte und Straßen womöglich noch besser verdient haben als die Deutschen, ein gehöriges antieuropäisches Ressentiment über die Parteiblöcke hinweg pflegen, ist nach der Ablehnung der europäischen Verfassung per Volksabstimmung öffentlich.
Doch über die Niederlande hinaus ist das Comeback des Nationalismus in Zeiten des Euro und der vertieft-erweiterten EU offensichtlich. Wenn die neue Währung ein paar Jahre nach ihrer Einführung durch systematischen Staatsbetrug ins Wanken kommt, wenn die freien Märkte der Banken für eine beispiellose Weltwirtschaftskrise sorgen, wenn muslimische Attentäter europäische Autoren und Zeichner anfallen oder ein wirrer arabischer Diktator wie Gaddafi einer europäischen Nation den „heiligen Krieg“ androht - dann ist ein Rückzug ins Eigene wahrlich keine Überraschung mehr.
Gleichzeitig verrät uns das holländische Politlaboratorium auch allerhand über genossenschaftliche Politik im Zeitalter der Individualisierung. Wenn man sich per Konsum und Mausklick die Lebensstile frei aussuchen kann, lässt die Erosion der Blockparteien nicht auf sich warten. Insofern ist nicht der rasante Wechsel in der niederländischen Parteienlandschaft ein Wunder, sondern die staunenswerte Stabilität in Deutschland. Bei den Kommunalwahlen in Holland sind weiter lokale Vereinigungen auf dem Vormarsch, landesweit gibt es, neben Grünen und zwei Liberalen, stabile Wählerschaften für Linkssozialisten, Fundamentalchristen und sogar eine etablierte Tierpartei. Im Boom des politischen Klientelismus muss man auch Wilders' „Partij van de Vrijheid“ (PVV) als eine Pressuregroup für Ansässige begreifen, die ihre Identität bedroht sehen und diese notfalls auch rabiat gegen die vermeintlichen „Allochthonen“ verteidigt sehen möchten.
Der Pendeleffekt einer sich wandelnden Migrationsgesellschaft bedroht nur die Volksparteien. Vorgestern konnte sich die Sozialdemokratie nur einigermaßen halten, weil die türkischen und marokkanischen Gemeinschaften massiv für die „Partij van de Arbeid“ (PvdA) stimmten. Die starke Migrantenpräsenz hat bei den Sozialdemokraten bereits zu einem Kooperationsverbot mit Wilders geführt. Inwieweit muslimische Wählergruppen die Politik etablierter Parteien - etwa nach dem Vorbild der erodierenden Christdemokratie als Interessengruppe der Kirchen - beeinflussen, damit aber auch die eigene politische Integration befördern, gehört zu den spannenden Zukunftsfragen. Immerhin ist die bisherige Regierung an einem Kulturkampf-Thema zerbrochen: dem Krieg in Afghanistan, den die Sozialdemokraten auch mit Rücksicht auf ihren Muslim-Anhang nicht weiter führen möchten.
Im Aufschwung der Kleinparteien ist es quasi naturwüchsig, dass die einzige verbliebene Sammelpartei, die Christdemokratie, die meisten Federn lassen musste. Das kann auch ein Menetekel für die CDU sein, die trotz eines Rechtsrucks der Gesellschaft in keinem Bundesland, geschweige denn national, mehr allein regieren kann - und sich damit wohl abfinden muss. Die allgemeine Zersplitterung, von der Wilders nur ein Teilphänomen ist und die den Holländern im Sommer wohl eine Minderheits- oder eine Vierparteienregierung bescheren wird, zeugt von einer großen Kreativität der europäischen Politik gerade in der Verunsicherung. Ob die Freude der Bürger am Neuen auch das Funktionieren der Institutionen befördert, steht auf einem anderen Blatt.
Text: F.A.Z. Bildmaterial: AFP | |
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